Interview mit Kathrin Gaál


Das Erfolgsrezept des Wiener Modells

Die Wiener Frauen- und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál im Gespräch über das Erfolgsrezept des Wiener Modells, Wohnen als öffentliche Aufgabe und die großen Herausforderungen der Zukunft.


Wien ist seit 100 Jahren weltweit bekannt für seinen sozialen Wohnbau. Was macht Wien anders?

Was Wien prägt, ist zunächst das politische Bekenntnis, dass Wohnen ein Grundrecht ist. Daher sehen wir es als öffentliche Aufgabe, für genügend leistbaren Wohnraum zu sorgen. Der Wiener Wohnungsmarkt besteht zu 45 Prozent aus Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen, in denen über 60 Prozent der Bevölkerung leben. Das sind dauerhaft sozial gebundene Wohnungen, wo es nur unbefristete Verträge und gedeckelte Mieten gibt. Eine Sicherheit, die nirgendwo sonst so selbstverständlich ist.

Was können andere Städte von der Wiener Wohnpolitik lernen?

Wien hat erfolgreich darauf bestanden, den sozialen Wohnbau nicht zu privatisieren, während in den 1990er Jahren viele europäische Städte ihren kommunalen Wohnbau verkauft haben. Heute zeigt sich mehr denn je, dass sich diese Strategie bewährt hat. Keine Stadt steckt so viel Geld in den Wohnungsbau wie Wien. Wir investieren jedes Jahr rund 600 Millionen Euro in den Bau neuer Stadtteile und in die Aufwertung historischer Stadtviertel durch die Sanierung bestehender Altbauten. Wien hat auch für die Zukunft gut vorgesorgt und vor mehr als 30 Jahren den wohnfonds_wien gegründet, der Grundstücke für den sozialen Wohnbau erwirbt, entwickelt und bereitstellt. Aktuell hat die Stadt 2,8 Mio. m2 Flächenreserven, um leistbare Wohnungen zu schaffen.

Wien wächst. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den Bereich Wohnen?

Die größte Herausforderung ist sicher, genügend leistbare Wohnungen für die Wienerinnen und Wiener zu schaffen. Andererseits geht es auch darum, an den Bedürfnissen der Menschen dranzubleiben und auf Bevölkerungswachstum, demografische Veränderungen und neue Lebensstile zu reagieren. Denn kaum etwas bestimmt unser Leben so sehr wie Wohnen.

Welche Rolle spielt die soziale Durchmischung?

Eines der wichtigsten Ziele der Wiener Wohnbaupolitik ist die soziale Durchmischung, sowohl in der gesamten Stadt also auch in den Wohnhausanlagen selbst, weil sie der beste Garant für ein friedliches Zusammenleben ist. Daher gibt es in Wien weder soziale Brennpunkte noch Ghettos. Das ist nur möglich, wenn man der Mittelschicht den Zugang zum sozialen Wohnbau - übrigens mit Nettomieten von 4 bis 5 Euro pro Quadratmeter - ermöglicht. Gerade aus diesem Grund gelten bei der Vergabe von Gemeindewohnungen und geförderten Wohnungen höhere Einkommensgrenzen. Damit verhindern wir, dass nur sozial schwache Menschen in bestimmten Vierteln wohnen. Das Besondere an Wien ist, dass man an der Adresse eines Menschen nicht erkennt, wie viel er oder sie verdient.

Was tut Wien noch, damit Wohnen für alle weiterhin leistbar bleibt?

Wien zeigt seit vielen Jahren, wie wichtig es ist, mit einer klugen Kombination von Grundstücksbevorratung, einem differenzierten Förderwesen, Mieterschutz und Mieter-Mitbestimmung für stabile Preise zu sorgen. Dort, wo es uns als Stadt möglich ist, positiv auf die Mietpreise einzuwirken, tun wir das. Im Rahmen unserer Wohnbauoffensive bringen wir tausende neue geförderte Wohnungen auf Schiene. Um Grundstückspreise zu dämpfen und Spekulationen am Immobilienmarkt zu erschweren, haben wir die Zweidrittel-Quote über eine neue Flächenwidmungskategorie in der Wiener Bauordnung gesetzlich fixiert. Das bedeutet: Künftig müssen bei großen Immobilienprojekten mehr geförderte als freifinanzierte Wohnungen gebaut werden. Damit geben wir den Wienerinnen und Wienern die Sicherheit, dass das Wohnen weiterhin leistbar bleibt. Wir sind überzeugt: Die beste Preisbremse schaffen wir, indem wir noch mehr geförderte Wohnungen bauen.